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Essay zum Sinn der Briefpost

July 10th, 2012 No comments

Liebste Post

Wir schreiben das Jahr 2012 und es ist nun 52 Jahre her, seit Ray Tomlinson vom MIT die erste E-Mail verschickt hat. Dies ist ein halbes Jahrhundert her und klar, dass diese Technologie des ursprünglichen ARPANET und später WWW, übrigens von Tim Berners-Lee im CERN in Genf ins Leben gerufen, den Paradigmenwechsel in der weltweiten Korrespondenz zur konkreten Umsetzung führte und somit das klassische Geschäftsmodell des Briefträgers, bzw. Depeschen-Kuriers heute in Frage stellt. Und dennoch, der “Pösteler” Ihres Unternehmens besucht jeden Tag meinen Briefkasten um da monatlich 4 Briefe einzuwerfen: Die Rechnung der Krankenkasse, die Abrechnung meines Bankkontos, die Rechnung meines Mobilfunk und meines Internet Providers, wobei bei 3 Briefen jeweils ein Zusatz beiliegt, der mich auf die Möglichkeit des “automatischen Lastschriftverfahrens” hinweist und mit der “elektronischen Abrechnung” wirbt, sofern ich den betreffenden Unternehmen meine elektronische Adresse angebe. Hierbei verhalte ich mich stets folgendermassen: die Beilagen landen im Altpapier und die Rechnung schreibe ich von Hand in mein Empfangsscheinbuch ab, um die Rechnungen am Postschalter per Barzahlung zu begleichen. Am Schalter weist mich dann auch jeden Monat wieder die/der MitarbeiterIn der Post darauf hin, dass ich mein Abonnement der Mobiltelefonie Firma auch über die Post verlängern könnte, worauf ich stets dankend ablehne. Soweit so gut, so weit der Usus…

Es kommt, – in Ausnahmefällen, – vor, dass ich auch andere Post kriege. So wie zum Beispiel heute einen Liebesbrief mit beigelegter Vinyl-Platte aus dem Ausland. Diesen entnehme ich, mit dem Vermerk “Fragile” und “Bitte NICHT knicken” versehen, meinem Briefkasten zerknickt und misshandelt. (Siehe angehängtes Bild). Nun ja, leider ist die betreffende Versenderin des Briefes genau so zerknittert und zerdrückt, als ich ihr berichte in welchem Zustand ich Ihren Brief erhalten habe. Zudem frage ich mich, ob sie mir ihr Gedicht samt Musik, als Datei angehängt, nicht auch per E-Mail hätte schicken können. – Aber nein, so sollte das nicht sein, entscheide ich mich und will meine Betroffenheit der Post gegenüber zum Ausdruck bringen.

Klar, die Post steht im Zeitalter der Informationsgesellschaft unter einem Leistungsdruck und kann es sich nicht leisten, handgeschriebene Briefe unzerknittert zuzustellen, sage ich mir und erinnere mich an meinen Grossvater, der Poststellenleiter war und jeden seiner Kunden persönlich kannte. Ich erinnere mich an meinen Vater, der mir erzählt, dass diese Maschine der Firma Siemens in Mülligen per Scanner sagenhafte 7 Briefe pro Sekunde ausliest und die “unlesbaren” Adressen per elektronischem “Screenshot” nach Chur geschickt werden um da von MitarbeiterInnen abgetippt zu werden um die Briefe aus der Warteschlaufe zu erlösen. Den Briefträger, der meinen Briefkasten mit durchschnittlich +4 Briefe pro Monat füttert kenne ich leider nicht beim Namen, noch hatte ich je die Gelegenheit ihn zu einem Kaffee einzuladen. – Soviel zum Zustand.

Ich weiss ja auch nicht wo die Reise hingeht. Aber es sieht danach aus, dass der ökonomische Druck den “Kunden” zwingt über soziale Netzwerke sein Profil soweit zu bespielen und zu verfeinern, dass diese Form der Korrespondenz den elektronischen Weg nimmt. Vielleicht stelle ich da ja die Ausnahme dar, den “A-Typus”…? Wobei ich mir wünschte, dass nicht-konforme Briefpost möglich sein und möglich bleiben sollte.

Elektronische Zustellungs-Systeme vertragen sich per Definition nicht mit analogen. – Computer und Menschen sind verschieden. Dies ist auch der Grund, weshalb ich meine Zahlungen am Postschalter mache, nämlich weil mir dabei ein Mensch in die Augen sieht und Danke sagt.

Ja, ich bin Kunde der Post. Und ich will es bleiben.

Herzlich, Ihr Lx